Homeschooling in Deutschland – iPad oder doch Schiefertafel

Homeschooling, derzeit ein viel diskutiertes Thema in den unterschiedlichen Medien. Dabei ist schon allein der verwendete Begriff und das Ausweichen ins Englische ein gutes Zeichen dafür, dass man im Grunde gar nicht weiß, was man eigentlich damit meint. ‚
Meint Homeschooling, dass die Schule zu den Kindern nach Hause kommt, sie sich in virutell eingerichteten Klassenräumen „treffen“ und normale Schulstunden unter Einbeziehung aller technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderst eingesetzt werden, meint es das zu Hause unterrichten durch die Eltern, die dann quasi die Rolle der studierten und pädagogisch ausgebildesten Lehrkraft schlüpfen, ohne diese Ausbild je erhalen zu haben, oder meint es ein computergestütztes Selbstlernen der Schülerinnen und Schüler, bei dem die Lehrkraft mehr oder weniger als überwachende und kontrollierende Instanz der Aufgabenergebnisse dient?!

Die „Corona-Krise“ zeigt mehr als deutlich, wie wenig zeitgemäß das „moderne“ Schulsystem ist und wie viele Jahrzehnte verschlafen wurden.


„Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.“

Dieses Zitat stammt von André Gide, einem französischem Autor und Literaturnobelpreisträge, doch dem Land der Dichter und Denker fehlen die Visionen und der Mut für grundlegende Inovationen und Neuerungen im Schulsystem.
Stattdessen doktort man immer wieder an einem vollkommen überholten System herum und versucht es aus sich heraus zu reformieren und zu verändern, statt es einfach einmal kompett neu zu denken und so zu tun, als müsste man Schule im 21. Jahrhundert komplett neu erfinden, mit allem, was man heute über Lernen, Leistungsfähigkeiten, Konzentrationsmöglichkeiten, etc. weiß. Beim Übergang von Papier in die digitale Welt zeigt sich diese Visionslosigkeit einmal mehr.


Schule und Technik . . .

Als mein Großvater zur Schule ging, gab es noch die Schiefertafel, den Rohrstock, Zucht, Ordnung und Strafen. Die Aufgabe von Schule war es funktionierende und gebildete Untertanen zu formen, diszipliniert und nur wenig selbständig denkend, das war vielleicht in den oberen Bildungsgängen und später im Studium ein Ziel, denn man brauchte schließlich auch ein paar wirkliche Denker.

Im Laufe der Jahrzehnte veränderte sich die Aufgabe der Schule, ihre Leitbilder wurden andere, Schulbildung sollte vom Privileg zum Allgemeingut werden und auch technische Neuerungen hielten immer weider Einzug in die Schule, auch ein paar Reformen musste das Schulsystem über sich ergehen lassen.

Irgendwann in den 1970ern führte man so grandiose Techniken, wie die „Matrizendrucker“ ein, ein Vorläufer des Kopierers, der so ab Mitte der 1990er, auch den letzten Matrizendrucker in der Schule ablöste. Beide Techniken ermöglichten eine Papierflut an die Schüler zu verteilen, Arbeitsblätter zum Herunterarbeiten oder auch zum Durchlesen, Lerninhalte ausserhalb der Schulbücher konnten so schnell und unkompliziert verteilt werden.

Auch die guten Tageslichtprojektoren oder Overhead-Projektoren hielten Einzug, auch wenn ich mich noch gut daran erinnerte, dass es gefühlt nie genug Tageslichtprojektoren in den Schulen gab, um jeden Klassenraum damit auszustatten.

Wer erinnert sich nicht an die Fernsehstunden in der Schule, die „neue“ VHS-Kassette und der Videorekorder ermöglichten es, Lehrfilme ohne das nervig laute Geklapper der Filmprojektoren anzusehen und vor den Ferien sah man sich vielleicht sogar in der Schulstunde einfach mal gemeinsam mit der ganzen Klasse einen Film an, ganz ohne tatsächlichen, pädagogischen Lernwert.

Immer wieder hinkte Schule zwar bei der Einführung der Technik hinterher, wenn man sich anschaut, ab wann es diese Technik eigentlich auf dem Markt gab, aber man übernahm die technischen Möglichkeiten in den Schulunterricht und teilweise erweiterte man damit auch die Möglichkeiten von Schule, aber zu einer richtigen Reform der Unterrichtsmethoden führten diese technischen Neuerungen eher nicht, man machte weiter wie bisher, aber halt ein klein bisschen anders.


…und dann kam das Internet.

1995 – Das Internet wurde vorgestellt, meine Schule war eine Art Modellschule und wurde als eine der ersten in der Stadt mit dem Internet verbunden. Im Rahmen eines Besuchs und einer einer Präsentation erklärte und ein Mitarbeiter der Telekom, dass wir nun Internet bekommen und niemand hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, was das überhaupt ist und was man genau damit anfangen soll. Mal abgesehen von elektronischen Briefen schreiben und sich amerikanische Homepages anschauen, deutsche suchte man damals noch recht oft vergebens.

Dennnoch, das damals junge und super teure und langsame Internet hielt Einzug in die Schulen, es dauerte noch 5 Jahre, aber dann waren im Grunde alle, irgendwie vernetzt und auch das Angebot im Netz wurde interessanter.

Doch was genau machte die Schule mit dieser neuen und tatsächlich revolutionären Erfindung und den damit verbundenen Möglichkeiten, nun zunächst einmal nichts. Mangelnde Weiterbildungsmaßnahmen, träge Lehrerschaften, die in einer „brauchen wir nicht, haben wir nie so gemacht“-Starre verharrten und sich der neuen Technik gänzlich verschlossen, fehlende Ideen und natürlich auch schlechte Ausstattungen blockierten hier wieder einmal wirkliche Innovationen. Während in meiner Studienzeit alle Studenten bereits eMail-Adressen hatten, gab es noch nach meinem Studium und sogar noch heute Lehrer, keine eMail-Adresse haben und in der Regel sind die Schülerinnen und Schüler mit deutlich besserer Technik ausgestattet als die Schulen, auch was die Geschwindigkeiten des Zugangs angeht. Die Technik rennt weiter und Deutschland schläft einen Dornröschenschlaf!

Im Internet gibt es seit Jahren Plattformen auf denen sich Lehrkräfte austauschen können, Unterrichtsmaterialien tauschen und sich über Ideen austauschen können, wie man Unterricht verändern und verbessern kann, schade nur, dass anscheinend niemand aus den Bildungsbehörden sich dafür interessiert.
Ich selbst habe Anfang der 2000er Lehramt studiert und weiß noch sehr gut, wie wir in Lerngruppen, Seminaren und Projektgruppen zusammensaßen und Konzepte und Idee entwickelten, was man nicht alles mit dem Internet machen könnte. Wir haben sogar mal einen Vorläufer des heutigen Tablets vorgestellt bekommen, damals eine vollkommen verrückte Idee, einen Computer, der nur aus einem Monitor bestand und den man mit sich herumtragen konnte, wozu auch immer und wir sollten im Rahmen eines Projektes Einsatzmöglichkeiten für den Lehrbetrieb erarbeiten und das ist nun über 15 Jahre her!


Wenn wir doch nur die Möglichkeiten hätten….

Viele Ideen scheiterten damals schlicht an den technischen Möglichkeiten, der Geschwindigkeit und der Ausstattung der Hochschulen, Schulen und auch Schüler, denn natürlich machen solche Konzepte nur Sinn, wenn sie allen Schülern offen stehen, egal aus welchem Einkommensbereich die Eltern kommen. Es fehlte jedoch nicht an Visionen, Ideen und Konzepten!

Wäre es da nicht super, wenn wir in einem reichen Industrieland leben würden, einem Land mit technische Innovationsmöglichkeiten, einer stabilen und leistungsstarken Wirtschaft, einer guten Infrastruktur und den industriellen und technischen Mögilchkeiten, das Internet tatsächlich mal in seiner vollen Kraft nutzen zu können.
Gut, das bräuchte dann auch noch hohe Übertragungsraten im MBit-Bereich, nicht wie in den 2000er, wo wir noch von Modem und ISDN Geschwindigkeiten ausgingen und die Einführung der 2000er DSL Leitung das Internet so rasend schnell machte, dass man sich fragte, wofür man jemals eine so hohe Geschwindigkeit brauchen würde, wenn nicht zum (Entschuldigung) Pornos-Streamen.


Das virtuelle Klassenzimmer, was für ein Traum

Auch die Idee von virtuellen Klassenzimmern wurde entwickelt, eine Idee, die sich vor allem an Schülerinnen und Schüler richtete, die auf Grund von Krankheiten, Witterungsverhältnissen oder schlicht der weiten Entfernung zu einer Schule nicht am normalen Schulunterricht teilnehmen können.
In Ländern in denen die Entfernungen um einiges größer sind, als in Deutschland oder in denen es auch noch weitere Hindernisse, wie beispielsweise Wasser (Inselschulen) oder Gefahren auf dem Schulweg gibt, könnte man mit virtuellen Klassenzimmern, Kameratechnik, Mikrofonen und digitalen Tafeln, deren Tafelbild direkt auf den Monitor der Kinder dargestellt wird, das Klassenzimmer nach Hause und im Grunde an jeden beliebigen Ort holen, wo es einen Internetempfang gibt. Sogar eine Art zeitversetztes Lernen wäre möglich, wenn die normale Unterrichtseinheit aufgezeichnet werden würde und die Schülerinnen und Schüler sich die Aufzeichnung immer wieder ansehen könnten.

Jahrelang entwickelte sich das Internet weiter, die Datenmengen wurden größer, die Möglichkeiten erweiterten sich, es entstanden Netzwerke, Social Media Plattformen, Streamingdienste. Filme können in 4K gestreamt werden, aber die Schulen sind über die eigene Internetseite und eine eMail-Adresse für die Lehrkräfte nicht wirklich viel weitergekommen. Deutschland hat es nicht geschafft ein schnelles Internet flächendeckend einzurichten, nicht einmal Behörden und deren Organe sind mit einer schnellen Internetverbindung ausgestattet.

Man entwickelte keine Lösungen für die Schulen, keine eigenen Serverlösungen, keine eigenen Plattformen in denen sich beispielsweise Schülerinnen und Schüler frei untereinander austauschen können, aber nach außen geschützt sind, Plattformen über die man Unterrichte streamen kann, keine virtuellen Schulen, eigene virtuelle Bibliotheken, eigene virtuelle Mediatheken, die landesübergreifend verifizierte Informationen liefern und auf die alle Schülerinnen und Schüler zugreifen können. Solche Plattformen könnte man jenseits des Föderalismus für alle Schüler deutschlandweit zur Verfügung stellen.
Stattdessen greift man auf Wikipedia zurück, nutzt Plattformen wir skype oder Zoom zurück, Plattformen, die schon aus Datenschutzgründen nicht wirklich empfehlenswert sind.


iPads . . . und jetzt?

Jetzt stattet man die Schulen mit digitalen Tafeln aus, gibt den Schülern iPads und sorgt mal wieder nicht für vernünftige Einarbeitungen und Fortbildungen. Die Kinder sitzen zu Hause vor den „Lernplattformen“ und diese brechen zusammen, weil sich zu viele Schülerinnen und Schüler einloggen und das nennt man dann digitales Lernen.

Die Verantwortung wird an die einzelnen Haushalte abgegeben, die Eltern, die jetzt neben ihrer Arbeit nicht nur Sozialkontakt und Lehrkraft sind, sondern auch noch IT-Spezialist.
Außerdem wird vorausgesetzt, dass alle Eltern eine vernünftige Internetanbindung verfügen, ob sie sich das finanziell leisten können, spielt eher keine Rolle und in welcher Region sie leben, ebenfalls nicht, allerdings kann man in Deutschland auch 2021 nicht flächendeckend davon aussehen, dass es überhaupt ein stabiles und schnelles Internet gibt.

Aber selbst wenn man davon ausginge, dass das Internet durchgängig schnell wäre, die Technik funktioniert und alles liefe, es fehlen die Konzepte, die Ideen, die Visionen und der Mut für neues Denken und neues Lernen!


Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein PDF ist kein digitales Lernen!

Meine Tochter ist 7, sie ist in der 1. Klasse und muss sich jetzt schon mit digitalem Lernen, iPad und „Homeschooling“ auseinandersetzen. Daher hatten auch wir nun ziemlich viele Berührungspunkte mit dem Gesamtthema Schule und Organisation.

Man führt Gespräche mit anderen Eltern, mit Eltern aus anderen Schulen, aus anderen Jahrgangsstufen und wenn man sich so anhört, was da momentan im „Homeschooling“ abläuft, dann kann man nur eine Sache erkennen, die sich bei allen gleicht: Planlosigkeit, Ratlosigkeit und kein erkennbares, einheitliches Konzept.
Nicht innerhalb der einzelnen Schule, nicht unter den Lehrkräften der gleichen Klassen, nicht bei den Schulen untereinander, nicht bundeslandeinheitlich und schon gar nicht bundeseinheitlich.

Die einen machen Zoom-Meetings, andere skypen, die Schüler untereinander nutzen dann WhatsApp, manchmal auch die Lehrkräfte. Da werden dann Aufgaben verteilt, Anhänge verschickt, Gruppenchats geführt oder halt einfach eMails geschrieben.

Bei uns in der Schule wird eine Lernplattform genutzt, hier werden Nachrichten geschrieben und ggf. morgens ein kleines Video vom Klassenlehrer hochgeladen in dem die Aufgaben verteilt werden. Über den Rest des Tages, kann man diese Arbeitsaufträge dann selbständig abarbeiten – 1. Klasse Grundschule – und anschließend abgeben oder die Lehrkräfte sehen die Teilnahme an der Aufgabe und auch das Ergebnis über die App-Protokolle.

Die Mathematik-Lehrerin verteilt dann doch lieber Arbeitsblätter, die man dann wieder in der Schule abgeben kann, in Naturkunde wurde bisher gar nichts digital gemacht und während einer Quarantänephase verlinkte die Sportlehrerin YouTube Sportvideos – inklusive Werbeeinblendungen – von einem Bundesligaverein, damit die Kinder sich ein wenig bewegen.

Nur hat das recht wenig mit einem digitalen Unterricht oder gar digitalem Lernen zu tun, nur hat anscheinend niemand in den letzten 20 Jahren darüber nachgedacht Lehrpläne und Konzepte für digitalen Unterricht zu entwickeln, Konzepte, die online Betreuung, Konzentrationsmöglichkeiten, Pausen, Lernerfolge und auch Lerninhaltsaufnahme (also das Merken des gelernten) berücksichtigen. Man macht halt irgendwie alles so wie immer, nur nutzt man jetzt halt ein iPad und zeichnet einmal am Tag ein Video auf.

Als ich zu Schule ging bekamen wir Arbeitsblätter, die wir abarbeiteten, diese wurden kontrolliert und das Ergebnis beurteilt. Heute feiert man es als innovativen Fortschritt, dass es für diese Arbeitsblätter eine App gibt, die nicht nur das Ergebnis, sondern auch noch die Dauer der Bearbeitung auswerten kann. Man belohnt die Kinder mit Punkten und einer Art Wertguthaben, dass sie dann in Computerspiele investieren können und das ist dann Homeschooling und digitale Schule.

Doch im Grunde ist es immernoch ein einfaches Arbeitsblatt, mit dem Unterschied, dass ich in der Schule bei Verständnisfragen die Hand heben konnte, der Lehrer direkt zu mir kam, die Verständnisfragen bestmöglich klärte und man direkt weiterarbeiten konnte. In der schönen neuen Virtualität kann man vielleicht eine eMail schreiben – was allerdings in der Grundschule schon eine ziemliche Herausforderung ist, wenn man gerade erst schreiben und lesen lernt – vielleicht hat man Glück und die Lehrkraft reagiert noch am gleichen Tag.

Die Kinder sitzen vor einem kleinen Brett und arbeiten Aufgaben ab, mal abgesehe von der Tatsache, dass die neuen kleinen Bretter Strom und Internet brauchen, erinnert mich das ganze doch sehr an meinen Opa, der mit Kreide vor seiner Schiefertafel saß, Aufgaben löste und diese dann dem Lehrer zeigte.

Über 20 Jahre nach Beginn des digitalen Zeitalters sind wir nicht viel weitergekommen. Die große Innovation ist der höhere Stromverbrauch und die Abhängigkeit von Internet und Akkulaufzeiten.

Die Schulen selbst können für diese Stagnation nichts, sie sind abhängig von den Entscheidungen der Behörden, der Kulturminister und ihrem Budget.

Allerdings müssen sich einige Lehrer den Vorwurf gefallen lassen, das von Ihnen auch häufig keine Innovationsbereitschaft ausgeht, zu oft verharren sie in ihren eingefahrenen und bequemen Routinen, das war halt schon immer so und das wird sich auch nicht ändern, nur weil so ein paar Referendarinnen und Referendare mal wieder ein paar Flausen aus dem Studium mit an die Schule bringen.

Wo bleiben die mutigen Schritte, die Entdecker, diejenigen die sich trauen alte Küsten aus den Augen zu verlieren?

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