Die neue Normalität

„Wir müssen eine neue Normalität entwickeln, die uns viele Monate und wahrscheinlich bis ins neue Jahr hinein begleiten wird.“ (Olaf Scholz, Vizekanzler)
Mit der neuen Normalität werden wir über Monate leben müssen. „So wie vorher wird es erst wieder sein, wenn es einen Impfstoff gibt.“ (Jens Spahn, Gesundheitsminister)

Seit ein paar Tagen hört man von unseren Politikern eine neue Wortschöpfung, die sogenannte „neue Normalität“. Bisher hat mich in der Corona-Pandemie schon allein die Geschwindigkeit der politischen Entscheidungen schockiert und die Bereitschaft der Mehrheit, die Einschnitte in die Grundrechte mitzutragen. Im Namen der Volksgesundheit, wurden zahlreiche Einschnitte beschlossen und nun wird das Volk auf die Etablierung einer neuen Normalität eingeschworen. Einer Normalität, die alles andere als normal ist oder gar werden darf.
„Es handelt sich um eine neue Normalität, an die wir uns nun erst einmal gewöhnen müssen.“ (Jens Spahn), klingt für mich leider immer noch zu sehr nach „gebt mir vier Jahre.“

Ein Ausnahmezustand darf keine Langzeitlösung werden, nicht irgendwo und schon gar nicht in einem Land mit unserer Geschichte, denn schon einmal wurde aus einem einfachen Notstandsgesetz, in dem jemand vom deutschen Volk nur vier Jahre Zeit forderte, eine dauerhaft etablierte „neue Normalität“. Ich wurde dazu erzogen, dass sich Geschichte nicht wiederholen darf und doch tut sie es immer wieder.

Was ist denn die neue Normalität?

In der öffentlichen Wahrnehmung denken nun viele „ach na ja, ein paar abgesagte Veranstaltungen und Abstandsregeln und an Mundschutzmasken gewöhnt man sich auch recht schnell. Ist ja nicht so wild.“

Aber ist das alles? Ist das die neue Normalität, wie sie jetzt gelebt wird oder gibt es da doch noch mehr, was in den letzten Wochen so alles „normal“ geredet wurde.

Die neue Normalität – meine Wahrnehmung

In den letzten Wochen zeigte sich, wie schnell sich Geschichte wiederholen könnte. Im Namen der Volksgesundheit änderte man das Infektionsschutzgesetz, hebelte Grundrechte aus, verabschiedete man sich von Maßnahmen des Arbeitsschutzgesetzes, uvm. und das alles innerhalb von nicht einmal 4 Wochen. Kaum auszudenken, wenn man mehr Zeit hätte, sagen wir 6-12 Jahre, aber das ginge jetzt zu weit.

  • Gleich zu Beginn wurde das Sonntagsarbeitsverbot aufgehoben und auch Überstundenregelungen, welche die Überstunden deckeln ausgesetzt. Für alle Berufe, die als systemrelevant eingestuft wurden. Ein Begriff, den die meisten zuvor nur von Banken kannten, die im Rahmen der Bankenkrise mal als systemrelevant eingestuft wurden. Nun ist auch die Supermarktkassiererin, der Mindestlohn-Regalpacker und überhaupt jeder im Gesundheitswesen systemrelevant. Was diese Mehrbelastung für die Arbeitnehmer bedeutet, war eher uninteressant.
  • Im Eilverfahren änderte man das Infektionsschutzgesetz und gab damit einem Ministerium und ganz vorne einem Minister so weitreichende Befugnisse und Rechte, dass es ihm möglich ist, Entscheidungen vorbei am Bundestag und Bundesrat zu treffen, wenn er diese als gesundheitsrelevant einstuft. Die Parlamentarische Kontrolle wird dadurch weitgehend ausgebremst. So viel Macht in einem Minsterium gab es seit der Weimarer Republik nicht mehr. Dem Volk scheint es egal, es wurde nicht gefragt und man hat das Gefühl, dass es momentan wieder wichtiger ist jemanden zu haben, der Entscheidungen schnell trifft und das Land führt, anstatt einer parlamentarischen Demokratie.
  • Wenig später entscheidet man die 60-Stunden-Woche einzuführen und damit die Arbeitzeitenschutzgesetz in vielen Teilen ausser Kraft zu setzen. Diese dient unter anderem der Gesundheit der Mitarbeiter in den „systemrelevanten“ und auch allen anderen Berufen. Die Berufsgenossenschaften und Gewerkschaften schweigen dazu, kein Aufschrei.
  • Das Grundgesetz ist in vielen Bereichen nicht mehr voll gültig. Das Recht auf Demonstrationsfreiheit ist eingeschränkt und in einigen Bundesländern vollständig ausgehebelt, in einigen Bundesländern ist hierdurch verboten, gegen die Maßnahmen der Regierung zu demonstrieren und so ein grundlegendes Recht in unserer Demokratie wahrzunehmen.
  • Das Recht auf freie Ausübung des Berufs, Freiheit der Kunst und Selbstbestimmung ist nicht mehr komplett gegeben.
  • Die Unverletzlichkeit der Wohnung wurde in einigen Bundesländern nicht mehr so ernst genommen, die Polizei nimmt sich das Recht heraus Hausbesuche zu machen, falls Nachbarn anrufen und ein „illegales Treffen“ melden.
  • Auch die Reisefreiheit innerhalb der Bundesrepublik ist nicht mehr gegeben, auch die Freizeit kann nicht mehr selbst gestaltet werden, weil vieles verboten wurde.
  • Der Kontakt zu anderen Menschen, der persönliche Austausch, das Treffen von Freunden ist nicht mehr möglich.
  • Sich frei auf der Straße zu bewegen oder sich aufzuhalten ist nicht mehr ohne weiteres möglich. In manchen Bundesländern ist es nicht mehr gestattet alleine auf einer Parkbank zu sitzen, ein Picknick im Freien im Kreise der Familie zu veranstalten.
  • Die Schulpflicht der Kinder ist momentan quasie aufgehoben und ein in Deutschland in der Regel rechtlich nicht möglicher Hausunterricht wird gerade zur Regel. Ohne Rücksicht auf soziale Unterschiede, technische Möglichkeiten oder Voraussetzungen in den einzelnen Familien. Die Schule kommt ihrer Verpflichtung die Kinder nicht nur zu unterrichten, sondern auch ihnen Sozialkompetenzen und sozialen Kontakt zu ermöglichen nicht nach. Es wird schlicht vorausgesetzt, dass die Eltern das, was Schule sonst macht, nun zu Hause machen können.
  • Auch die Betreuung und die damit verbundene Sozialisation der Kleinkinder in KiTas und ähnlichen Einrichtungen findet nicht statt.
  • Sportstätten und Vereine können ihren Aufgaben nicht nachkommen, weil sie geschlossen wurden.
  • Soziale Einrichtungen, die sich um das Wohl der schwächsten der Gesellschaft kümmern, sind in ihrer Arbeit stark eingeschränkt.

Doch auch ausserhalb dieser rechtlichen Punkte verändert sich die Gesellschaft und Themen, die zuvor problematisch waren, werden nun als vollkommen in Ordnung propagiert.

  • Die Polizei und Ordnungsämter sind ständig auf Streife, der Bürger steht unter Dauerbeobachtung und wo die staatlichen Ordnungshüter nicht vor Ort sind, haben Blockwarte und Bürgerpolizisten deren Aufgaben übernommen und zeigen ihre Mitbürger an, wenn sie das Gefühl haben, dass diese gegen die Auflagen verstoßen. Denunzianten haben Hochkomjunktur und fühlen sich moralisch überlegen.
  • Atemnschutzmasken sind noch keine Pflicht, dennoch wird man auf der Straße und in Geschäften direkt abwertend angeschaut, wenn man keine entsprechende Maske trägt.
  • Die Abschaffung des Bargeldes und die Zahlung jeder Transaktion per Karte, möglichst kontaktlos über die NFC Schnittstelle.
  • Die Einführung einer App, die im Namen der Volksgesundheit die Bewegungen der Nutzer aufzeichnet und Überscheidungen erkennt und auswertet.
  • Die flächendeckende Einführung von „HomeOffice“ Möglichkeiten, ob der Arbeitnehmer das will oder überhaupt im HomeOffice arbeiten kann, spielt hier keine Rolle. Wenn es technisch möglich ist, wird es gemacht. Einmal eingerichtet, kann es jederzeit wieder aktiviert werden, beispielsweise wenn ein Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfällt, man kann ja ein paar Aufgaben schließlich auch machen, wenn man zu Hause ist, mal eben ein paar eMails lesen, eine Freigabe erteilen, Berichte prüfen oder schreiben. Ich habe selbst ein paar Jahre ein HomeOffice gehabt und ich will das nie wieder haben. Nicht jeder ist dafür geboren, nicht jeder kann das von seinem Umfeld her.
  • Die Stimmung gegen Menschen, die mit Kindern einkaufen gehen ist eher familienfeindlich geworden.
  • Menschen wechseln die Straßenseite, verlassen den Gehweg und machen riesen Bögen um Kinder, wenn diese ihnen beispielsweise auf dem Fahrrad entgegenkommen.

Die neue Normalität, meine Sorge

In den Medien finden sich immer wieder Diskussionen über die Wirtschaft, über Gesundheit und in dem Zusammenhang auf über Ethik und die Problematik der Überlastung unseres Gesundheitssystems. Doch es fehlen offene Diskussionen über die Veränderungen in der Wertevorstellung unserer Gesellschaft.
Meine Sorge ist, dass viele dieser Veränderungen Türen geöffnet haben, die sich nun nicht mehr schließen lassen werden. Die Aufgabe unserer Grundrechte ging zu schnell, zu bereitwillig, selbst Verfassungsrechtler sind sich nicht einig darüber, ob dieses Verhalten unserer Politiker sich mit dem Grundgesetz deckt.
Das Land in dem ich lebe verändert sich und zeigt momentan ein Gesicht, dass mir nicht wirklich gefällt und von dem ich nicht möchte, dass sie die neue Normalität werden.

Ausnahmezustand, nicht Normalität!

Ein Ausnahmezustand ist eine zeitlich begrenzte Phase, in der man alles tut, um ihn zu beenden und in die Normalität zurückzukehren. Einen Ausnahmezustand zu einer neuen Normalität zu erklären, zeigt ein fehlendes Interesse daran, diesen Zustand zu beenden und aus dem Mund des Mannes, dessen Ministerium gerade sehr viel Einfluss genießt, klingt für mich nicht gerade vertrauenserweckend.

Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verdammt sie zu wiederholen.

George Santayana (1863-1952)

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