Dafür gibt es bestimmt ein YouTube Tutorial

Oh ja, diese Antwort höre ich in letzter Zeit öfter. Nahezu alle Fragen werden im Internet beantwortet, der Segen der neuen Generation oder doch eher ihr Fluch?
Früher zeigte mir meine Mutter, wie man eine Krawatte bindet, heute gibt es dafür eine YouTube Tutorial. Ich lernte von meinem Vater Heimwerken, wie man die kleinen Herausforderungen des Alltags meistert, eine Lampe anbaut, die Grundlagen der Haushaltselektronik, Kochen, Wäsche Waschen, etc. Ich lernte von mein meinen Eltern, meinen Großeltern, Verwandten, Freunden, Bekannten und in manchen Fällen auch aus Büchern.

Kommunikation und Hinterfragen

Geschichte lernte ich in der Schule und nähere Geschichte lernte ich von Zeitzeugen, die diese noch miterlebt haben. Allerdings hatten alle diese Lernwege eines gemeinsam, in den meisten Fällen lernte ich von Menschen denen ich vertrauen konnte, von Menschen, die ich hinterfragen konnte.

Ich lernte kritisch zu sein und ich lernte auch, dass Informationsquellen Fehler haben können und das selbst das „Wissen“ in Büchern nicht immer korrekt ist. Spätestens im Gespräch mit Zeitzeugen stellt man immer wieder fest, dass das fundierte Wissen in Geschichtsbüchern auch nur eine Interpretation dessen ist, was passiert ist.

Kopieren und Wiederholen

Ich mag Tutorials, ich finde es super, dass die Generation nach mir über eine Quelle von Wissen verfügt, von der die Generationen vorher nur träumen konnten. Das Internet hat eine noch nie dagewesene Vernetzung von Informationen mit sich gebracht von der wir alle profitieren. Für viele ist es inzwischen selbstverständlich, die heute 20jährigen kennen eine unvernetzte Welt nicht mehr, sie wissen nicht mehr, wie es vor dem Internet war. Aber leider bedeutet das anscheinend auch immer weiter, dass nur noch genommen und kopiert wird.
Ich treffe immer wieder auf junge Menschen, die mir zeigen, was sie tolles auf YouTube gesehen haben. Bei den kleinen Problemen des Alltags und kleinerer Reparaturen tatsächlich eine nützliche Sache. Doch leider sehe ich häufig und immer häufiger, dass die Tutorials nicht genutzt werden, um zu lernen, sondern lediglich um das, was man sieht zu wiederholen.

Wirft man einen Blick auf instagram, so sieht man immer die gleichen Bilder, nur unterschiedliche Gesichter oder unterschiedliche Locations. Die Bearbeitungen sind aber immer extrem ähnlich.
Die Tutorials werden nicht hinterfragt, nur weil 10 Leute auf YouTube das gleiche erzählen, ist es noch nicht wahr und nur weil diese Leute einem einen Weg zum Ziel zeigen, ist dieser Weg noch lange nicht der einzige, der beste, der richtige. Dieses Copy&Paste Verhalten erschrickt mich, denn es wirft Fragen auf. Wir verkommen zu dressierten Affen!

Wissenstransfer nicht möglich

Dieses Kopieren und Nachahmen nimmt interessante Formen an, denn statt genau hinzusehen und die wichtigsten Inhalte aus einem solchen Tutorial herauszuziehen, sie zu hinterfragen und ggf. zu verbessern, wird immer nur der gesamte Ablauf kopiert.

Ein erstes Beispiel:
In einem Tutorial wird in vielen Einzelschritten erklärt, wie man einen Kuchen backt, von Grund auf, ohne Fertigpackungen. Von meiner Oma habe ich das auch gelernt, aber meine Oma hat mir dabei auch erklärt, dass man mit einer Art „Basisteig“ und leicht veränderten Zutaten auch noch andere Kuchen backen kann. Ein paar Anpassungen und schon kann man backen.
In einem YouTube Tutorial lernte ein Bekannter, wie man Apfelkuchen backt. Nun kann er Apfelkuchen backen, ihm fällt aber nicht ein, statt Äpfeln andere Zutaten zu nehmen und vielleicht die „Gewürze“ anzupassen, um auch mal Pflaumenkuchen backen zu können. Er schaut nach einem neuen YouTube Tutorial für Pflaumenkuchen und ihm fällt nicht auf, dass die ersten Schritte quasi identisch sind.

Ein zweites Beispiel:
In einem Fototutorial werden viele Einzelschritte gemacht, um am Ende ein echt gutes Bild zu erstellen und einen bestimmten Bildlook zu erzielen. Der Tutorial-Urheber stellt großzügig das gezeigte Bild zum Download zur Verfügung, alle kopieren seine Schritte und haben dann ein echt schönes Bild.
Einer der Schritte beschäftigte sich mit dem Erzeugen einer realstisch wirkenden Spiegelung auf einer künstlich erzeugten Glasfläche. Ich bat meinen Studenten, der mir zuvor in 15min. darstellte, was das für ein tolles Tutorial ist und was er alles gelernt hat, mir doch bitte auf einer anderen Glasfläche eine Spiegelung zu erzeugen. Er wusste nicht einmal, dass er das vor 8min. während der Präsentation – für die er das Tutorial tagelang „studiert“ hatte – noch selbst gemacht hat.

In beiden Fällen waren die Tutorials sinnvoll, aber wirklich gelernt haben die Zuhörer daraus nichts.

Zwei Einzelfälle? Leider nicht.

In den letzten Wochen und Monaten habe ich solche oder ähnliche Fälle immer wieder erlebt und meistens waren es Menschen im Alter von ungefähr 20 Jahren.

Ich habe mich auch noch mit anderen Personen meiner Generation und auch älteren unterhalten und hörte immer wieder das gleiche. Es wird kopiert und nicht mehr weiterentwickelt. Bisher gab es immer wieder Trends, neue Entwicklungen und ein „alles kommt irgendwann mal wieder.“ Die Mode oder die Musik der 60er, 70er, 80er, 90er und irgendwie anscheinend auch eine Art von prüdem Sicherheitsdenken in unserer Schnellebigkeit, man zieht sich zurück, junge Leute probieren sich nicht mehr aus, sondern folgen einer vorgegebenen Linie. Was soll dann aber in 20 Jahren von „uns“ mal wiederkommen, wenn nichts wirklich neues oder eigenes mehr entwickelt wird.

Neuerungen gehen von der Jugend aus

Theodor Fontane sagte einst: „Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, hat keinen Verstand.“

Wenn sich Dinge ändern sollen, wenn neue Dinge entwickelt und neue Ideen gefunden werden sollen, dann brauchen wir die Innovationskraft der jungen Leute. Sie denken unverbrauchter, Sie sind noch nicht so festgefahren in ihren Strukturen und sie entwickeln neue Wege. Wir Alten sind dazu nicht in der Lage.

Aber was ist, wenn sie nicht mehr revolutionär denken, sondern nur noch einer Linie folgen, was ist wenn sie aufhören weiterzuentwickeln und nur noch das nachplaudern, was man ihnen vorkaut.

Das neue Schulsystem hat sein Ziel erreicht

Als ich zur Schule ging, war die Bildung noch geprägt von einem humanistischen Bildungsauftrag, es ging um selbstdenkende Menschen und darum Schülern auch beizubringen zu hinterfragen.

Es ging nicht um Vergleichstests, nicht um Pisa und all ihre Nachfolger und Auswüchse, es ging nicht um Internationalisierung und internationale Bildungsstandards. Es ging nicht darum aus Schülern systemtreue Mitglieder zu machen, Studenten schnell durch die Unis zu „prügeln“ und so schnell es geht auf Karrierespur zu bringen.

Schauen wir doch mal, wo es uns noch hinführt.

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